Als ich das erste Mal »Ende« unter meine aktuelle Geschichte schrieb, war ich überwältigt. Die Rohfassung war beendet, die Geschichte hatte einen Anfang, eine Mitte, ein Ende und war in meinen Gedanken der am hellsten leuchtende Stern am Geschichtenhimmel. Dann, nach einigen Tagen, wagte ich mich an die Überarbeitung. Etwas, das mir sehr schwerfiel, denn ich wusste schon vorher, dass die Geschichte nicht annähernd so gut geworden war, wie ich es in Erinnerung hatte. Und das muss sie auch gar nicht. Denn die Rohfassung ist nichts anderes als ein erster Entwurf, ein Schatten dessen, was sie einmal werden würde. Denn genau dafür ist die Überarbeitung da – sie soll das Beste aus der Rohfassung herausholen. Und davon möchte ich euch heute berichten.
Bevor ich mit dem Überarbeiten der Geschichte beginnen konnte, musste ich sie mir noch einmal durchlesen. Zu diesem Zweck habe ich sie mit einem fünf Zentimeter breiten Rand ausgedruckt. Ich habe verschiedenfarbige Stifte bereitgelegt, mit denen ich Textpassagen markiert oder gestrichen habe. Und in dem breiten Rand habe ich erste Gedanken zum Inhalt notiert. Am Ende sah das Ganze dann so aus:
Mein leuchtender Stern mutierte vor meinen Augen zum roten Riesen. Aber was genau habe ich da eigentlich angestrichen und an den Rand geschrieben?
Hauptsächlich sind überflüssige Textpassagen, unwichtige Abschweifungen, Figuren und Wiederholungen dem Rotstift zum Opfer gefallen. Am Rand habe ich dagegen vor allem beschreibende Elemente, Details und weitere Aspekte, die mir beim Lesen in den Sinn gekommen sind, notiert.
Textpassagen und Charaktere zu streichen, fiel mir am schwersten. Ich hing so sehr an jedem geschriebenen Wort, an jeder einzelnen Figur – war sie auch noch so unbedeutend –, dass ich mir klar machen musste, warum es notwendig war: Die Rohfassung einer Geschichte ist wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, was dem Autor in den Sinn kommt. An sich ist das auch nichts Schlechtes, denn dadurch kommen einem meist die besten Ideen. Doch in der Überarbeitungsphase müssen Abschweifungen, die nichts mit dem eigentlichen Kern der Geschichte zu tun haben, restlos gestrichen werden. Darunter sind manchmal auch wirklich gelungene Szenen.
Hier habe ich einen Tipp für euch: Wir leben im 21. Jahrhundert, ihr könnt solche Szenen also kopieren und abspeichern, um sie für eine andere Geschichte, in der sie besser passen, zu verwenden. So müsst ihr euch nicht endgültig davon trennen. Auch liebgewonnenen Charakteren könnt ihr so später eine zweite Chance geben.
Etwas anders sieht das bei Wiederholungen aus. Das sind zum einen Wortwiederholungen, die den Lesefluss stören, aber vor allem inhaltliche Wiederholungen. Natürlich dürft ihr als Autor absichtlich etwas wieder aufgreifen, solange damit Steigerungen einhergehen. Möchtet ihr beispielsweise zeigen, dass eine Figur sehr eifersüchtig ist, dann sollte sich dieses Verhalten im Laufe der Geschichte steigern. Geschieht eine Wiederholung jedoch, ohne dass ein neues Element hinzugefügt wird, dann ist sie sinnlos und trägt nicht zum Fortschreiten der Handlung bei. Auch in meiner Geschichte gab es ein paar solcher Fälle. Das Gute hierbei war: Ich hatte die Wahl. Ich konnte die Szene beibehalten, die am gelungensten war und die weniger guten Passagen löschen.
Neben dem Streichen einzelner Sätze, ganzer Szenen und liebgewonnener Charaktere hatte ich beim ersten Lesen der Rohfassung auch noch eine weitere Aufgabe. Ich musste darauf achten, ob die Geschichte bereits genug beschreibende Elemente und konkrete Details enthielt, was oft nicht der Fall war. Deshalb schrieb ich alles, was mir hierzu einfiel, an den Rand. Manchmal nur einzelne Wörter, oft aber ganze Sätze. Denn was nützen mir meine Notizen, wenn ich beim eigentlichen Überarbeiten nicht mehr weiß, was ich eigentlich damit sagen wollte? Ein Hoch auf den breiten Rand! Denn der war am Ende ziemlich vollgeschrieben.
Egal wie ihr es angeht. Ob ihr die Geschichte so wie ich ausdruckt oder direkt am Bildschirm Notizen einfügt. Macht euch bewusst, dass es beim Lesen der ersten Fassung nicht darum geht, gleich alles perfekt zu machen. Denn auch nachdem ihr eure Änderungen umgesetzt und eingearbeitet habt, bedarf die neue/zweite Fassung noch weiterer Überarbeitung – schon alleine der Rechtschreibung und Grammatik wegen. Es geht vielmehr darum, dass ihr euch darüber klar werdet, was ihr mit der Geschichte erzählen möchtet und ob dies durch die Handlung und die Figuren auch ausgedrückt wird. Passt etwas nicht zum Kern der Geschichte, muss es entweder gelöscht oder umgeschrieben werden. Fehlen jedoch Elemente, dann müssen sie hinzugefügt werden. Nur so könnt ihr eure Geschichte verdichten und vertiefen und am Ende das Beste aus ihr herausholen. Erst im nächsten Schritt folgen stilistische, grammatikalische und orthografische Änderungen.
Ich hoffe, ich konnte euch mit meinen Tipps ein wenig weiterhelfen. Ihr dürft mir auch gerne schreiben und mir von euren eigenen Erfahrungen berichten oder mich mit Fragen löchern. Ich freue mich, von euch zu hören.
Eure Verena