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Kinderbuch

Rezensionen, Schreiben & Lesen

Rezension zu »George«

Oktober 13, 2017 • von

Titel: George
Autor: Alex Gino
Verlag: Scholastic Bk Services
Einband: Taschenbuch
Seiten: 224
Alter: 9 – 12 Jahre
ISBN: 978-0-545-81257-3
Preis: CH: 9,40 CHF/D: ca. 5,99 €
Erscheinungsdatum Originalausgabe: 2015

Klappentext auf dem Taschenbuch:

Englisch:
When people look at George, they think they see a boy. But she knows she’s not a boy. She knows she’s a girl.

George thinks she’ll have to keep this a secret forever. Then her teacher announces that their class play is going to be Charlotte’s Web. George really, really, REALLY wants to play Charlotte. But the teacher says she can’t even try out for the part . . . because she’s a boy.

With the help of her best friend, Kelly, George comes up with a plan. Not just so she can be Charlotte — but so everyone can know who she is, once and for all.

Deutsch:
Sei, wer du bist!

George ist zehn Jahre alt, geht in die vierte Klasse, liebt die Farbe Rosa und liest heimlich Mädchenzeitschriften, die sie vor ihrer Mutter und ihrem großen Bruder versteckt. Jeder denkt, dass George ein Junge ist. Fast verzweifelt sie daran. Denn sie ist ein Mädchen! Bisher hat sie sich noch nicht getraut, mit jemandem darüber zu sprechen. Noch nicht einmal ihre beste Freundin Kelly weiß davon. Aber dann wird in der Schule ein Theaterstück aufgeführt. Und George will die weibliche Hauptrolle spielen, um allen zu zeigen, wer sie ist. Als George und Kelly zusammen für die Aufführung proben, erzählt George Kelly ihr größtes Geheimnis. Kelly macht George Mut, zu sich selbst zu stehen.

›George‹ erzählt einfühlsam und unprätentiös vom Anderssein und ermutigt, den eigenen Weg zu gehen. Der erste Kinderroman zum Thema Transgender, der auch ältere Leser fesseln wird und der die Botschaft vermittelt: Sei, wer du bist!

Zum Autor:

Alex Gino, geboren und aufgewachsen in Staten Island, New York, mag die Natur und Geschichten, die die Vielfalt des Lebens widerspiegeln. Heute lebt Alex Gino mit Partner und zwei Katzen in Kalifornien, USA. Alex Gino ist seit über zwanzig Jahren in der queeren und Transgender-Bewegung aktiv. Persönliche Erfahrungen und das Wissen, dass Transgender-Kinder Romane brauchen, die sie bestärken und ihnen Mut machen, waren der Anlass ›George‹ zu schreiben. (Quelle: Amazon.de)

Mom, what if I’m a girl?

Ich habe die Geschichte über die 10-Jährige George, die sich heimlich Melissa nennt und Mädchenzeitschriften sammelt, auf Englisch gelesen, und dieser Satz ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben. Denn die Angst davor, wie ihre Mutter reagiert, wenn sie erfährt, dass George ein Mädchen ist, schwingt das gesamte Buch über mit. Und dass George ein Mädchen ist, daran besteht kein Zweifel.

Die Geschichte wird durch einen personalen Erzähler geschildert, der über George stets mit dem Personalpronomen »she«, also »sie«, berichtet. George liebt außerdem Mädchenkleidung und kämmt sich, wenn sie alleine ist, die Haare nach vorne, sodass ihre Frisur femininer wirkt. Sie hasst ihren Jungenkörper und alles, was damit zu tun hat. Sie hasst es, in der Schule aufs Jungenklo gehen zu müssen. Doch am deutlichsten zeigt sich ihre Abneigung gegen ihren Körper, wenn sie badet: Dann zieht sie ihre Unterhose erst ganz zum Schluss aus und versucht nicht auf das zu achten, was da zwischen ihren Beinen ist.

Auch in der Schule hat sie es nicht leicht. Von ihren Mitschülern Jeff und Rick wird sie stets gemobbt und als Freak abgestempelt, weil sie so gar nicht wie die anderen Jungs ist. Nur bei ihrer besten Freundin Kelly kann George sich so geben, wie sie ist. Gemeinsam proben sie für die Rolle der Charlotte im Theaterstück Charlotte’s Web, die George unbedingt ergattern will. Leider gibt ihr die Lehrerin keine Chance dazu. Als schließlich Kelly die Rolle bekommt, wird die Freundschaft der Kinder auf eine harte Probe gestellt. Doch Kelly und George wären keine besten Freunde, wenn sie sich nicht nach kurzer Zeit wieder vertragen würden. So ist es auch kein Wunder, dass Kelly die Erste ist, die erfährt, dass George ein Transmädchen ist. Gemeinsam hecken sie schließlich einen Plan aus, damit George allen zeigen kann, was in ihr steckt und wer sie wirklich ist.

Dass Georges Angst, ihrer Familie die Wahrheit zu sagen, berechtigt ist, zeigt sich am Ende des Buches, denn ihre Mutter tut sich mehr als schwer damit, zu akzeptieren, dass ihr Sohn ein Mädchen ist. Stattdessen bekommt George unerwartet Rückhalt von ihrem älteren Bruder Scott. Er vermutet zunächst zwar, George sei schwul, doch als er erfährt, dass sie Transgender ist, hält er erst recht zu ihr.

Ein Buch, das Mut macht, zu sich selbst zu stehen

Ich habe das Buch im Original, also auf Englisch, gelesen. Die Sprache ist kindgerecht gehalten und leicht verständlich, sodass es auch von jenen gelesen werden kann, die nicht so gut Englisch sprechen. Alle anderen können aber guten Gewissens auch zur deutschen Übersetzung greifen.

Dass das Buch für Kinder ist, wird nicht nur an der einfachen Sprache deutlich. Auch dass George bei ihrem Coming-out sehr viel Zuspruch erhält, kaum auf Widerstände stößt (mal von der Mutter abgesehen) und am Ende als Melissa in die Welt hinausgeht, führt dazu, dass der kindliche Leser das Buch mit einem guten Gefühl zuschlägt. So macht die Geschichte vor allem jüngeren Kindern Mut, zu sich selbst zu stehen. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass gerade ältere Kinder den Ausgang der Geschichte mehr hinterfragen, da sie die Welt in der sie leben bereits besser kennen und wissen, dass es nicht immer so gut läuft.

Meiner Meinung nach sollte das Buch von Kindern nur begleitet durch einen Elternteil oder einen Lehrer gelesen werden, denn so können Unklarheiten, die beim Lesen aufkommen, gleich gemeinsam besprochen werden. Im Anhang des Buches beantwortet Alex Gino zwar noch einige Fragen, doch das Thema Transsexualität wird leider nicht ausreichend erklärt. Georges Geschichte kann bei Kindern, die noch nie davon gehört haben, also durchaus zu Verwirrung führen.

Nichtsdestotrotz ist das Buch sehr lesenswert – nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Ich kann es deshalb uneingeschränkt empfehlen.

Eure Verena


Interviews

Für Kinder schreiben: Interview mit der Kinderbuchautorin Anja Kiel

März 4, 2017 • von

Für Kinder zu schreiben, ist mindestens genauso schwer wie für Erwachsene. Vielleicht sogar noch schwerer. Und trotzdem gibt es immer wieder mutige Autorinnen und Autoren, die diese Herausforderung annehmen und bereits den Jüngsten mit ihren Geschichten ein Lächeln auf die Lippen zaubern und sie in fremde Welten entführen.

Anja Kiel ist eine von ihnen. Sie wurde 1973 in Tübingen geboren, studierte Kunstgeschichte, Angewandte Kulturwissenschaften und Philosophie in Münster, absolvierte ein Volontariat bei der Zeitschrift Prinz in Duisburg – und wollte eigentlich Malerin werden. Oder Köchin. Oder Ballerina. Zum Glück wurde daraus nichts, denn eines Tages überredete ihre Mutter, die Autorin Inge Meyer-Dietrich, sie dazu, mit ihr das Buch »Die Hüter des Schwarzen Goldes« zu schreiben. Seither arbeitet sie als Kinderbuchautorin.

Ich bin sehr glücklich, dass sich Anja dazu bereit erklärt hat, mir in diesem Interview Rede und Antwort zu stehen und bin mir sicher, dass ihre Antworten nicht nur mich brennend interessieren.

Textkritzeleien Blog: Anja, wie genau kam es dazu, dass dich deine Mutter überzeugen konnte, mit ihr ein Buch zu schreiben, und wann war das?

Anja Kiel: Das muss vor 2009 gewesen sein. Ich hatte einige Jahre als Gästeführerin auf der Zeche Zollverein in Essen gearbeitet und wusste daher eine ganze Menge über das Thema Bergbau. Gleichzeitig hatte ich mit dem Schreiben als Journalistin begonnen – als freie Autorin für eine Veranstaltungs- und Kulturzeitschrift. Inge hatte schon länger geplant, einen Roman über die »Schwarzmännchen« zu schreiben, sagenhafte Zwerge, die im Ruhrgebiet unter der Erde wohnen sollen. Inges Erfahrung als Kinderbuchautorin und meine Kenntnisse im Bergbau – das müsste doch funktionieren. Ich habe damals aber erst nicht daran geglaubt, dass ich auch für Kinder schreiben könnte. Bis Inge mir einen Entwurf des ersten Kapitels zumailte und ich sofort Lust bekam, daran weiterzuschreiben. Und so entstand nach und nach der Roman.

TB: War der Beruf schon immer eine mögliche Option für dich? Oder wolltest du eigentlich nichts vom Autorendasein wissen?

AK: Nein, der war keine Option für mich. Ich wollte definitiv einen anderen Beruf ergreifen als meine Mutter. Außerdem war ich keins von den Kindern, die ständig Gedichte oder Geschichten verfassen (obwohl ich sehr gern Briefe und Tagebuch schrieb und mir Aufsätze in der Schule meistens auch leicht von der Hand gingen).

TB: Schreibst du auch andere Bücher? Beispielsweise Romane für eine andere Zielgruppe?

AK: Ganze Bücher für andere Zielgruppen habe ich bisher nicht verfasst. Aber ich habe mehrere Kurzgeschichten für Erwachsene geschrieben, von denen immerhin drei auch schon veröffentlicht sind.

TB: Hast du selbst Kinder? Wenn ja, inwiefern hilft dir das beim Schreiben guter Kindergeschichten?

AK: Ich habe Kinder und das hilft mir sehr beim Schreiben. Weil ich sofort testen kann, ob Ton und Sprache funktionieren. Weil ich sehe, woran sie interessiert sind. Weil ich durch sie ständig selbst auf Kinderliteratur gestoßen werde. Und natürlich, weil sie mich inspirieren (auch wenn ich ihre Erlebnisse nicht zu Buchideen umforme).

TB: Und worauf sollte man achten, wenn man für sie schreiben möchte?

AK: Wenn man bereits eine Idee skizziert hat, sollte man sich auch recht bald überlegen, was man eigentlich schreiben will. Den Text für ein Bilderbuch? Ein Erstleserbuch? Einen Kinderroman? Diese Textarten sind sehr unterschiedlich und nicht jede Geschichte eignet sich für jedes Format.

TB: Sicher ist es hier auch wichtig, das genaue (Lese-)Alter der Kinder einzugrenzen, stimmt’s?

AK: Ja, das ist sehr wichtig. Kinder sollte man nicht zu sehr über- oder unterfordern, denn sonst verlieren sie schnell das Interesse. Übrigens sollten die Hauptfiguren im Buch in der Regel ein bis zwei Jahre älter sein als die Leser. Kinder orientieren sich gern nach oben.

TB: Und was sollte man bei Kinderbüchern sprachlich beachten?

AK: Bei den Erstlesebüchern sollten die benutzten Wörter nicht zu schwer sein. Also fallen die meisten zusammengesetzten Wörter schon mal weg. Auch Fremdwörter und Anglizismen haben hier eigentlich nichts zu suchen – Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Sätze sollten einfach konstruiert und nicht zu lang sein. Je nach Lesestufe darf der Schwierigkeitsgrad natürlich erhöht werden. Je älter die Leser sind, desto anspruchsvoller kann die Sprache sein. Lesen soll schließlich – ganz nebenbei – auch die Sprachkompetenz fördern und den Wortschatz erweitern! Ich persönlich bin aber ein Freund von einfachen, prägnanten Sätzen. Vorsicht beim Nachahmen von Kinder- oder Jugendsprache: Das ist eine Gratwanderung. Altertümliche Begriffe wie »Lausbub« oder »Schlingel« sollte man sich aber auch verkneifen.

TB: Gibt es inhaltliche/thematische Einschränkungen (abgesehen vom Offensichtlichen wie Erotik und Gewaltverherrlichung)?

AK: Eigentlich nicht. Ich denke, dass Kindern durchaus auch »schwere« Themen wie Krieg, Tod, Trennung zugemutet werden können. Kinder entscheiden selbst, ob sie sich mit solchen Büchern beschäftigen wollen oder nicht. Für Erstlesebücher würde ich solche Themen allerdings nur bedingt empfehlen.

TB: Gerade sind deine Bücher »Lara und die freche Elfe. Auf dem Ponyhof« und »Mein Freund, der Superheld« erschienen. Worum geht es in den Büchern?

AK: »Lara und die freche Elfe. Auf dem Ponyhof« ist bereits der dritte Band um Lara und ihre Elfenfreundin Fritzi. Fritzi habe ich erfunden, weil mir all die süßen, sanften Blumenelfen in den Erstlesebüchern auf die Nerven gingen. Lara liebt pink und ist ein richtiges Klischeemädchen. Fritzi dagegen ist ein bisschen wild und frech und kitzelt das auch bei Lara heraus. Als die beiden zusammen einen Bauernhof besuchen, will Lara natürlich – ganz Mädchen – unbedingt auf dem Pony reiten. Stattdessen toben die beiden im Heu, striegeln Ziegen und haben jede Menge Spaß.

»Mein Freund, der Superheld« richtet sich an Leseanfänger, die schon ein bisschen Leseerfahrung haben. Lenny ist ein ganz normaler Junge, der ganz aufgeregt ist, als er Falk kennenlernt. Falk behauptet, ein Superheld zu sein und erzählt die abenteuerlichsten Geschichten. Da kommen Lenny allmählich Zweifel. Ist Falk ein Lügner? Oder ist er einfach nur auf der Suche nach einem Freund?

Letztlich geht es in beiden Büchern um Freundschaft.

TB: Über welche Themen würdest du sonst gerne einmal für Kinder (und/oder Erwachsene) schreiben?

AK: Das Thema Freundschaft ist so wichtig für Kinder, dass ich sicher noch mehr darüber schreiben werde. Über die Liebe würde ich auch gerne mal schreiben. Aber das wird dann bestimmt kein klassischer Liebesroman.

TB: Hast du bereits ein neues Projekt in Planung? Falls ja, verrätst du uns das Thema?

AK: Ich habe gleich mehrere Projekte in Planung. Eins ist schon relativ konkret. Aber noch ganz geheim!

TB: Jetzt machst du mich neugierig! Aber Geheimnisse soll man ja bekanntlich nicht verraten. Hast du stattdessen noch einen essentiellen Tipp für angehende Kinderbuchautoren?

AK: Ich habe gleich drei: Beobachtet Kinder, hört ihnen zu – egal ob es die eigenen oder die der Geschwister und Freunde sind. Lest Kinderliteratur. Und vor allem: Schreibt nicht von oben herab.

TB: Vielen Dank, liebe Anja, für die vielen, guten Tipps von dir. Leider sind wir bereits am Ende des Interviews angelangt. Gibt es etwas, das ich vergessen habe? Möchtest du noch etwas hinzufügen?

AK: Wer sein Buch bei einem Verlag veröffentlichen will, sollte sich vor Kontaktaufnahme intensiv mit den jeweiligen Programmen auseinandersetzen. Das gilt für Kinderbuchautoren mindestens genauso wie für »Erwachsenenbuchautoren«. Welche Segmente deckt der Verlag ab? Welche Altersstufen werden bedient? Außerdem sollte sich jeder Autor klarmachen: Für Kinder zu schreiben ist mindestens genauso schwer wie für Erwachsene zu schreiben.

TB: Ich danke dir für diesen hochinteressanten Einblick und die vielen Tipps rund ums Schreiben für Kinder. Ich wünsche dir alles Gute und weiterhin viel Erfolg beim Schreiben. Wer weiß, vielleicht bekommen wir ja bald sogar eine Liebesgeschichte von dir zu lesen?

Wenn ihr mehr über Anja und ihre Arbeit erfahren möchtet, dann schaut auf ihrer Autorenwebsite vorbei.

Eure Verena